Auf Basis von Verschwörungstheorien von der Regierung verfolgt: Bahá’í im Interview

Bahaá'í Tempel in Haifa, Israel

Gravierende Diskriminierung, keine Aussichten auf höhere Bildung und die Gefahr verhaftet zu werden: Für Angehörige des Bahá’í-Glaubens ist dies in manchen Ländern der Alltag. Sam S. beantwortet Fragen zum Bahá’í-Glauben, zu den Verschwörungstheorien, die es darüber gibt und seine Erfahrungen damit.

*Name von der Redaktion geändert

Schon seit der Entstehung des Bahá’íschen Glaubens im Iran, (also seit etwa 200 Jahren), hat es Verschwörungstheorien über dessen Ursprung, Aktivitäten und Ziele gegeben. Ihr Glaube wurzelt im schiitischen Islam, hat sich aber von ihm gelöst. Die Anhänger*innen der Bahá’íschen Glaubens wurden in mehreren islamischen Ländern verfolgt, verhaftet, verbannt oder hingerichtet. Noch heute wird Bahá’í in einigen islamischen Staaten nicht als Religion anerkannt oder sind Diskriminierungen ausgesetzt. Besonders in der Islamischen Republik Iran sind Bahá’ís von verschiedenen Menschenrechtsverletzungen betroffen. Sam S. ist ein Bahá’í, kommt ursprünglich aus dem Iran und erzählt uns über den Bahá’í-Glaube und die diesbezüglich verbreiteten Verschwörungstheorien und deren Folgen.

Verschwoerung.at: Können Sie sich bitte kurz vorstellen und uns sagen, seit wann Sie sich als Bahá’í identifizieren?

Sam S.: Mein Name ist Sam S.. Ich wurde in einer Bahá’í-Familie geboren und wuchs mit einer Bahá’í-Ausbildung auf. Ich habe mich also immer als Bahá’í identifiziert.

Verschwoerung.at: Warum haben Sie sich entschieden, sich zu dieser Religion zu bekennen und als Bahá’í zu bleiben?

Sam S.: Es ist interessant, denn leider gab es im Iran viele Fehlinformationen über die Bahá’ís. Die meisten kamen von den Mullahs, weil ich denke, das es eine Sache gibt, die ihnen Angst macht: Die Bahá’í-Religion. Denn es gibt keine Mullahs in der Bahá’í-Religion. Aus diesem speziellen Grund denke ich, dass sie eine Menge falsche Informationen über grundlegende Tatsachen verbreiten haben.

Der Bahá’í-Glaube

Verschwoerung.at: Wie würden Sie die Bahá’í-Religion und ihre Grundüberzeugungen beschreiben?

Sam S.: Nun, im Grunde glaubt die Bahá‘í-Religion an Einheit und Vielfalt. Das bedeutet, dass wir zwar verschieden sind, aber wir alle vereint sein können und alle als Menschen gleich sind. Einheit ist also der Kernglaube des Bahá‘í-Glaubens.

Verschwoerung.at: Sehen Sie sich als Teil der Gemeinschaft, der Bahà‘í-Gemeinde, falls ja, können Sie diese bitte kurz beschreiben?

Sam S.: Ich bin ein Mitglied der Bahà‘í-Gemeinde in einem Staat der Vereinigten Staaten. Es ist eine große Gemeinschaft. Im Grunde sind es etwa 5600 Menschen. Ich nehme an deren Aktivitäten gelegentlich teil. 

Verschwoerung.at: Gibt es besondere Gebete, Tempel oder Bahá‘í-Gotteshäuser?

Sam S.: Natürlich. Es gibt Hunderttausende von Gebeten im Bahà‘í-Glauben und jede*r kann entscheiden, was er*sie will. Was Tempel angeht, gibt es derzeit, glaube ich, 10 oder 12 Bahá‘í-Tempel weltweit. In den Vereinigten Staaten gibt es einen in Chicago und in Deutschland gibt es einen im Frankfurt. Es gibt auch einen in Kenia, in Afrika, und noch viele viele mehr. Was die lokalen Gemeinden angeht, hat jede örtliche Gemeinde ein sogenanntes Bahá‘í-Zentrum und dort finden alle Aktivitäten für die Bahá‘ís statt.

Verschwoerung.at: Können Sie uns etwas über diese Aktivitäten sagen und ob es Zeremonien oder Rituale gibt?

Sam S.: Es gibt absolut keine Rituale. Es gibt nur so etwas wie das 19-Tage-Fest, ein Zusammentreffen für alle Bahá‘ís. Sie (das Bahá’Í-Zentrum) rufen uns an, um teilzunehmen und um gemeinsam die Angelegenheiten unserer Gemeinschaft zu besprechen. Jede*r ist beteiligt und gesellt sich dazu. Im Grunde ist es nur das. Jede*r bekommt Neuigkeiten aus der Community und solche Sachen.

Verschwoerung.at: Wird im Bahá’í-Glauben eine bestimmte Symbolik verwendet?

Sam S.: Ich möchte es nicht Symbolik nennen, aber es gibt bspw. „der Größte Name“. Dafür gibt es ein Symbol, was im Grunde genommen „das Kommen des nächsten Propheten“ bedeutet, und es gibt auch einen anderen Namen auf Arabisch, nämlich „ya Baha ul-Abha“. Ich kann es nicht übersetzen.

Verschwoerung.at.: Inwiefern, würden Sie sagen, ist der Bahá’í-Glaube mit dem Islam im Allgemeinen, und im Besonderen mit dem schiitischen Islam, verwandt bzw. nicht verwandt?

Sam S.: das ist ein gutes Thema und es gibt sehr lange Diskussionen darüber. Wir können es endlos diskutieren, der Bahá‘í-Glaube glaubt an eine fortschreitende Offenbarung. Das bedeutet, dass, als Gott die Menschheit erschuf, hat er auch die Propheten geschickt, um die Menschen zu führen und anzuleiten. Wir glauben daran, dass sich mit der Zeit die Propheten ändern und, dass es in jedem Zeitalter, entsprechend der Besonderheiten der Zeit, einen neuen Propheten gibt. Dies bedeutet letztendlich, dass keine Religion behaupten kann, die letzte Religion zu sein, wie es der Islam behauptet. Also ich würde sagen – ich gebe Ihnen jetzt nur eine Zahl -, dass sich die Religion alle 1000 Jahre auf der Grundlage der vorherigen Religion erneuern wird. Der Islam kommt also und bringt die Menschen zusammen und erzieht sie auf einem bestimmten Niveau. Nach diesem Niveau wird dann eine andere Religion benötigt. Es kommt nach diesem Prinzip immer eine Religion, aufbauend auf die vorherige. Wir glauben, dass der Islam die letzte Religion vor dem Bahá’í-Glauben war. Also im Grunde, basierend auf dieser Idee der fortschreitenden Offenbarung, ist Bahá’í die nächste nach dem Islam. Er ist also auf dem Islam aufgebaut.

Verschwörung und Folgen

Verschwoerung.at: In islamischen Ländern gibt es schon lange Verschwörungstheorien über die Herkunft der Bahá‘ií, wie der Wille und die Unterstützung britischer Regierungsmänner. Jetzt gibt es wieder in der Regierung der Islamischen Republik Iran all diese Verschwörungstheorien über die Bahá‘ís, die auch Verfolgung oder Bildungsabbruch zur Folge haben. Was wissen Sie über diese Verschwörungstheorien und wie gehen Sie damit um?

Sam S.: ich kenne sie sehr gut, ich habe unter ihnen gelitten, so, wie alle Bahá‘ís im Iran. Im Nahen Osten, hauptsächlich in islamischen Ländern, verbreiten sich diese Verschwörungstheorien. Am Anfang sagte ich Ihnen, dass sie diese Lügen verbreiten, denn wenn sie zugeben, dass der Bahá‘í-Glaube eine Religion ist, bedeutet dies, dass die Ära des Islam vorbei ist und dass sie (die Mullahs) keine Vorherrschaft über die Menschen mehr beanspruchen können. Ich würde sagen, dass ungebildete Menschen diese Lügen akzeptieren, nur basierend auf dem, was sie von Führern hören, aber wenn sie einen Beweis liefern können, nur einen Beweis, …. Das Problem ist, dass Iraner*innen, die ganz normalen Leute, einfach alles, was Mullahs behaupten, akzeptieren, ohne weitere Untersuchung oder Reflexion. Diese Mullahs haben bisher, bezüglich ihrer Behauptungen und Verschwörungstheorien, nichts tatsächlich beweisen können. Wie gesagt, wenn sie (die Mullahs) zugeben, dass der Bahà‘ìi-Glaube im Grunde eine Religion ist, dann bedeutet das, dass ihre Zeit vorbei ist. Also tun sie alles, um an der Macht zu bleiben und deshalb verbreiten sie diese Lügen.

Verschwoerung.at: Politiker*innen im Iran nennen Bahá’í, Ich zitiere, eine „hinterhältige Sekte“. Sehen Sie sich, als Bahá’í , als Mitglied einer Sekte, falls nein, warum nicht?

Sam S.: Eine Sekte ist hauptsächlich von Menschen gemacht. Wenn Sie nur ein wenig über den Bahà‘í-Glauben lernen, sehen Sie, dass es viel tiefer geht. Er ist keine Sekte. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sein Leben und alles, was er hat, für eine Sekte opfern würde. Eine Sekte ist vorübergehend und wird in Vergessenheit geraten. Wenn Sie die Geschichte des Bahá‘í-Glaubens im Iran studieren, sehen Sie, dass zu Beginn 20.000 Menschen starben und ihr Leben opferten, nur weil sie Bahá‘í waren. Wie gesagt, eine Sekte wird nach kurzer Zeit verschwinden. Der Bahá‘í-Glaube ist nicht nur nicht verschwunden, er ist gewachsen. Wie gesagt, es ist eine schwierige Frage, die nicht in wenigen Sätzen zu beantworten ist. Es ist eine weitere lange Diskussion. Wenn man sich den Islam anschaut: Der Islam hat nur ein heiliges Buch, das vom Propheten stammt. Aber der Bahá‘í-Glaube hat 100.000 Bücher, von denen die meisten noch unbekannt sind. Die meisten wurden noch nicht studiert. Diese stammen aus der Quelle des Glaubens, die der Prophet ist. 100.000 Seiten. Eine Sekte kann nicht so viele Quellen der Rechtleitung und Philosophie haben. Es ist kindisch, wenn man eine Sekte mit einer Religion, insbesondere dem Bahai-Glauben, vergleichen möchte.

Verschwoerung.atSie haben gesagt, dass Sie persönliche Erfahrungen mit dieser Situation im Iran haben. Können Sie ein bisschen über Situationen sprechen, in denen Sie aufgrund Ihres Bahá‘í-Glaubens diskriminiert wurden?

Sam S.: Als ich im Iran war. Ich rede nicht von meiner Kindheit, in meiner Kindheit wurde ich mein ganzes Leben lang diskriminiert. Nein, aber als ich im Iran war, 1980, steckten sie meinen Vater ins Gefängnis, weil er ein Bahá‘í war. Er war fast ein Jahr dort, obwohl es gar keine Anklagen gegen ihn gab. Sie beschlagnahmten auch viele seiner Besitztümer. Ich hatte keine Möglichkeit, eine höhere Bildung zu erreichen, also musste ich aus meinem Land fliehen. Sie gaben mir keinen Pass, weil ich ein Bahá‘í war. Ich konnte das Land also nicht verlassen, weil sie mir keinen Pass gaben, also musste ich auf eine andere Weise ausreisen. Es gibt Tausende und Abertausende von Beweisen dafür, dass die Bahá’í unter großem Druck stehen und die Lage verschlechtert sich immer mehr.

Verschwoerung.at: Was gefällt Ihnen an Bahá‘íismus am meisten?

Sam S.: Also, Bahá‘íismus ist das falsche Wort. Es ist kein „Ismus“, es handelt sich um keine Philosophie. Es ist im Grunde eine Religion. Persönlich bin ich, aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen, kein Fan der organisierten Religion, aber ich glaube fest an die Grundüberzeugungen der Bahá‘í. Was ich mag, ist die Einheit. Die Grundüberzeugung, dass alle Menschen gleich sind, unabhängig von Hautfarbe, Hintergrund, ethnischer Herkunft und Geschlecht. Egal, wer du bist, jede*r wird als gleich angesehen. Die gesamte Gemeinschaft arbeitet darauf hin, also gibt es keinerlei Diskriminierung. Das ist, wie gesagt, der Kernglaube des Bahá‘í-Glaubens.

Relevanz im 21.Jahrhundert

Verschwoerung.at: Heute, im 21. Jahrhundert, gibt es etwas oder einen Aspekt, bezüglich des Bahá‘í-Glaubens, mit dem Sie vielleicht nicht einverstanden sind oder hoffen / wünschen, dass es sich ändern würde?

Sam S.: Nicht wirklich, ich kann die Community nicht kritisieren. Das einzige, was ich wahrscheinlich kritisieren kann, ist, dass wir mehr hätten tun können, um das Missverständnis über die Bahá‘ís im Iran auszuräumen. Aber wir haben es nicht getan. Ich glaube, das ist die einzige Kritik, die ich habe. Was den Kernglauben des Bahá‘í-Glaubens angeht, nein, ich widerspreche ihm nicht. Natürlich gibt es immer ein paar Missverständnisse, die Leute haben und wir können verständnisvoll darüber streiten, über die Religion, aber mir persönlich fällt gerade nichts ein.

Verschwoerung.at: Bezüglich der Gleichstellung: Auf der Wikipedia-Seite über den Bahá‘í-Glauben steht, wie Sie gesagt haben, dass Männer und Frauen gleich sind. Es gibt also Geschlechtergleichheit, trotzdem dürfen Frauen nicht als Mitglieder des universellen Hauses der Gerechtigkeit, der obersten Regierungsinstitution des Bahá‘í -Glaubens, dienen. Was wissen Sie darüber? 

Sam S.: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es jetzt eben so ist. Der Gründer, eigentlich der Sohn des Propheten, der Abdolbaha, hat erwähnt, dass es jetzt so ist. Er hat gemeint, dass wir den Grund dafür jetzt noch nicht verstehen können, in der Zukunft es jedoch verstehen werden. Aber, wenn man den Bahá‘í-Glauben mit jeder anderen Religion vergleicht: Wir können in Bezug auf Gleichheit in eine tiefe Diskussion einsteigen und trotzdem wahrscheinlich nur eine Sache finden, die wir am Bahá‘í-Glauben, in Bezug auf Gleichheit, kritisieren können. Bei anderen Religionen gibt es Hunderte und Tausende solcher Kritikpunkte.

Verschwoerung.at: Abschließend noch eine letzte Frage: Was würden Sie vorschlagen, dass in der heutigen Welt, anstelle all dieser Verschwörungstheorien, benötigt wird um ein friedliches Leben mit Vielfalt und Diversität fördern zu können?

Sam S.: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, die ganze Menschheit geht in die falsche Richtung. Im Moment werden die meisten von uns durch die Philosophien, denen wir folgen und die uns voneinander trennen, einer Gehirnwäsche unterzogen. Ich denke, das einzige Heilmittel für alle heutigen Probleme die Einheit ist. Wir müssen einander lieben und wir müssen einander dienen und wir müssen miteinander reden und einander verstehen. Sie und ich können Meinungsverschiedenheiten haben, aber das bedeutet nicht, dass wir Feinde sein müssen. Wir können anderer Meinung sein, aber wir können uns gleichzeitig lieben. Was wir also brauchen, ist Liebe und Verständnis.

Verschwoerung.at: Haben Sie noch abschließende Worte, die Sie mit uns teilen möchten?

Sam S.: Ich möchte danke sagen, dass Sie dieses Thema aufgreifen. Ich denke, es ist an der Zeit, dass die Leute Fragen stellen und nicht nur die Glauben und Sichtweisen ihrer Eltern folgen. Wir müssen lernen, Fragen zu stellen. Wenn jemand etwas behauptet, dürfen wir es nicht einfach als die Wahrheit akzeptieren, sondern müssen es selbst untersuchen. Die unabhängige Erforschung der Wahrheit ist eine der ersten Lehren des Bahá’íi-Glaubens. Wenn wir das machen, können wahrscheinlich viele Probleme, gerade auch im Iran, gelöst werden. Wenn die Leute nicht blind irgendwelchen Behauptungen folgen würden.

An dieser Stelle bedankt sich Verschwoerung.at für das Interview.

*Name von der Redaktion geändert

Bildquelle: „THE BAHAI GARDENS AND TEMPLE 2_ IN HAIFA_IMOT“ by Israel_photo_gallery is licensed under CC BY-ND 2.0

2 Kommentare

  1. Martin Breier 29. Juni 2021 um 17:56

    An sich ein interessanter Artikel aber die Antworten sind teilweise schlecht zu lesen da sie von der Rechtschreibung und Grammatik her leider viel zu oft nahezu unverständlich werden. Das sollte überarbeitet werden!

Kommentare sind deaktiviert.