Zwischen Arroganz und Akzeptanz: Ex-Verschwörungstheoretiker im Gespräch

Gerald war selbst jahrelang Verschwörungstheoretiker. Jetzt redet er öffentlich über seine Vergangenheit und erhält dafür viel Zuspruch.

„Willkommen in der Welt der Verschwörungstheoretiker. Ich bin ausreichend qualifiziert da mitzureden, weil ich war mal einer.“ So beginnt Gerald alias „Ascendancer“ die meisten seiner Videos auf Youtube. Von Adrenochrom über Corona bis 5G thematisiert er dort die bekanntesten Verschwörungstheorien mit trockenem Humor und viel Hintergrundwissen. Er kennt sich aus in der Welt der Verschwörungstheorien, denn er war jahrelang selbst darin gefangen. Im Interview mit verschwoerung.at spricht er über Einstieg und Ausstieg in die Szene, gibt Tipps im Umgang mit Verschwörungsanhänger*innen und nennt die gefährlichsten Verschwörungsmythen.

Das gesamte Interview seht ihr hier:

Willkommen in der Welt der Verschwörungen

Er habe sich in der Gesellschaft „unendlich klein gefühlt“, sehnte sich nach Anerkennung und einfachen Antworten. Nach dem Gefühl, endlich jemand zu sein und über exklusives „Geheimwissen“ über die Welt zu verfügen. All das versprachen ihm die Verschwörungstheorien, aus deren Wirren er aber nur mühsam wieder herausfinden konnte. „Ich habe mich selber am Anfang toll gefühlt – dann nicht mehr so sehr, weil ich auch immer mehr zum Außenseiter geworden bin.“ Viele seiner Aussagen seien damals „sehr arrogant“ gewesen und hätten andere Leute nicht selten vor den Kopf gestoßen. Drinnen in der Welt der Verschwörungsideologien war Gerald „sehr schnell“, sein Weg hinaus war dagegen ein jahrelanger Prozess. Viele kleine, ruhige Gespräche und einiges an Selbstreflexion halfen dem Oberösterreicher schließlich zu erkennen:

„Ok, ich bin vielleicht doch nicht klüger als alle anderen 7 Milliarden Menschen auf der Welt.“

Mit Gewalt überzeugen zu versuchen, sei jedoch der falsche Weg, mit Verschwörungsanhänger*innen zu reden. Aus eigener Erfahrung weiß Gerald: Es reicht nicht, den Menschen bloß Zahlen und Fakten zu liefern, ohne sich selbst überhaupt genug informiert zu haben. Viele empathische und differenzierte Gespräche auf Augenhöhe seien am hilfreichsten. „Das eine klärende Gespräch“ könne man sich nicht erwarten. Denn, ein Weltbild aufzugeben, das man sich mitunter über Jahre hinweg aufgebaut hat, tue weh. Zu realisieren und schließlich zu akzeptieren, dass man jahrelang in einer „Traumwelt“ gelebt habe, könne nicht jede*r.

Gefährliches Geschwurbel

Inzwischen hat Gerald erkannt, dass der Glaube an Verschwörungstheorien gefährlich sein kann. Besonders kritisch sieht er die ursprünglich aus den USA stammende QAnon-Bewegung, die er als „Spitze des Eisbergs“ sieht. Hier werde die „Gegenseite entmenschlicht“ und Anhänger*innen in eine rechtsradikale Richtung gelenkt, oft ohne es von sich aus zu bemerken. Er könne es selbst noch nicht glauben, aber ihm sei es ähnlich ergangen, als er davon überzeugt war:

„Ja nein, die Rothschilds und der Soros, die sind böse. Ja aber, ist das nicht judenfeindlich? Nein, das ist ja nur Zufall, dass die Juden jetzt die Bösen sind. Das ist ja gar nicht böse gemeint.“

Aus heutiger Sicht sind solche Gedanken und Aussagen für Gerald unvorstellbar, weshalb er jetzt öffentlich über seine Vergangenheit redet. Die Videos auf seinem Youtube-Kanal „Ascendancer“ sind für ihn einerseits eine Art Selbsttherapie, andererseits sollen sie andere Menschen zur Selbstreflexion anregen. Vor allem die vielen positiven Rückmeldungen von Zuseher*innen, die selbst Verschwörungsgläubige in ihrem Umfeld haben, freuen ihn. Deshalb startete er vor kurzem das Reddit-Unterforum r/VTbetroffene. Ähnlich wie bei r/QAnonCasualties können sich hier Betroffene von Verschwörungstheorien austauschen, informieren und vernetzen.

Besonderen Dank an Gerald („Ascendancer„) für das interessante Gespräch!