Anti-Corona-Demo in Wien: Zwischen Aufstand und Niederlage

Wien – Es ist der 1. Mai, der Tag der Arbeit: Traditionell ein Tag für Demonstrationen und Versammlungen. Es treffen sich Menschen, um für etwas zu protestieren, an das sie glauben. Eine Idee, die sie eint, selbst wenn diese für viele andere nur Verschwörungstheorien sind.

Quer denken oder Corona verleugnen?

Covid-19 hat die Gesellschaft gespalten. Eine Pandemie, die die Welt seit nun über einem Jahr begleitet und dennoch herrscht weiterhin Uneinigkeit zwischen den Meinungen. In den letzten Monaten wurden vor allem die Ansichten der sogenannten Querdenker:innen, oft auch als Corona-Leugner:innen beschrieben, öffentlich diskutiert. Vor ein paar Wochen kündigten die Anhänger:innen von Fairdenken Wien den „Tag des Rückgrat“ an, um in Wien am 1. Mai für ihre Überzeugungen und Forderungen zu demonstrieren. Doch welche Idee treibt die Corona-Leugner:innen an? Wieso lehnen sie sich nun seit Monaten auf? Wir möchten die Verschwörungen der Querdenker:innen beleuchten und ihnen vor Ort Fragen stellen. Deshalb trafen wir uns am 1. Mai zu den Demos in Wien.

Der Treffpunkt der Demo wurde eine Stunde vor Start im Internet bekannt gegeben: Der Rathausplatz im Wiener Zentrum. Es ist 13 Uhr. Die schöne Architektur des Burgtheaters und der blaue Himmel über Wien scheinen nicht zur Situation zu passen, in der wir uns vor finden: Hunderte von bewaffneten Polizist:innen, Sirenen und laute Menschenmassen auf den gesperrten Straßen. Und dazwischen die Corona-Leugner:innen und Mitglieder von Fairdenken Wien. Sie tragen rote T-Shirts mit „Fairdenken“ in weißer Blockschrift und Aufkleber mit der Aufschrift „Kurz muss weg“, viele halten die österreichische Fahne in der Hand, dafür sieht man aber weit und breit kaum eine FFP2-Maske. Es sind Frauen und Männer zwischen 18 und 70 Jahren.

Betrachtet man sie, scheinen sie fast unauffällig, nichts an ihnen schreit Verschwörungstheoretiker:in oder Aluhut. Außer ein Mann unter ihnen: Er trägt einen blauen Schutzanzug mit Gasmaske – symbolisch für den Virus. „Kurz muss weg, die Regierung muss weg“ wird immer wieder durch Lautsprecher gerufen, zwei Teilnehmer halten einen Banner auf dem auf rotem Hintergrund groß „Schluss mit dem Corona Faschismus“ steht. Während weitere Demos des 1. Mai bereits am Ring vorbei ziehen, stehen die Teilnehmer:innen der Corona-Demo noch etwas unschlüssig beisammen. Aus den Gesprächen und Interviews, die um uns herum stattfinden, hören wir heraus, dass weniger Leute gekommen sind, als geplant war. Jennifer Klauninger, eine bekannte österreichische Verschwörungstheoretikerin und Organisatorin von Querdenker-Demos, ist aber unter ihnen. In einem Interview vor laufenden Kameras erklärt sie: „Das ist keine Demokratie, sondern eine Diktatur. Bei Hitler war es die Armbinde, heute ist es die Maske“.

Friede, Freiheit, keine Diktatur

Nach einer halben Stunde setzt sich die überschaubare Menge an Demonstrant:innen in Bewegung. Es geht über den Ring Richtung Burgtheater, das, mit Zwischenstopp im Rathauspark, zwei Mal umkreist wird. Im Chor wird immer wieder „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ gerufen und Mitglieder der Freiheitlichen Jugend Wien (FPÖ) halten Schilder mit der Aufschrift „Coronamaßnahmen reduzieren, Eigenverantwortung stärken“. Im Kontrast zum Aufruf der Demonstrant:innen nach Frieden und Demokratie, steht das aggressive Verhalten mancher Teilnehmer:innen der Demo: Eine Frau unter ihnen schreit Passanten an, sie stünden unter einer Gehirnwäsche. Auf unsere Frage an ein Mitglied von Fairdenken Wien, weshalb er an der Corona-Demo teilnimmt, zittert seine Stimme vor Wut: „Wir werden versklavt und traumatisiert. Die Regierung überwacht uns durch die Impfungen. Wir leben in einer Diktatur und werden das nicht weiter zulassen“.

Nur ein kurzer Aufmarsch

Wir begleiten die Demonstrant:innen durch den Rathaus-Park hindurch, um das Burgtheater noch einmal zu umkreisen. Uns werden immer wieder Flyer in die Hände gedrückt – Von Informationen über die psychischen Langzeitschäden durch Masken, bis hin zum Aufruf sich gegen den „Great Reset“, einem globalen Neustart nach der Pandemie, zu wehren. Gegen 14 Uhr erreichen wir die Hinterseite des Burgtheaters. Über uns ziehen weitere Hubschrauber, jemand trommelt immer wieder im Stakkato, die Corona-Leugner:innen rufen weiter lautstark nach einem Rücktritt des Bundeskanzlers. Als jedoch der Großteil des Aufmarsch wieder zur Ringstraße zieht, rücken hunderte von Polizist:innen an und kesseln die Demonstrant:innen ein.

Wir mittendrin.

Ein Demonstrant stellt sich dabei wortlos vor die Polizist:innen. Er trägt ein großes Schild, ein Zitat von Albert Camus steht an oberster Stelle. Sonst bleibt es friedlich und niemand wehrt sich. Kurz darauf wird auch Jennifer Klauninger von der Polizei in Gewahrsam genommen. Was wir dann beobachten, wird den Demonstrant:innen wohl noch eine Weile in Erinnerung bleiben: Innerhalb zwanzig Minuten löst sich die Menge an vielleicht 100 Teilnehmer:innen schnell auf. Wer übrig bleibt ist ein Trommler und vielleicht 15 weitere Leute, sowie 5-mal so viele Polizist:innen.

Die kleine Menge an verbliebenen Demonstrant:innen geht gemeinsam zum Rathaus-Park. Kaum eine:r unter ihnen trägt eine Maske. Jemand lässt über Boxen Musik laufen und überspielt die Niederlage, die sich die meisten Corona-Leugner:innen nun wohl eingestehen müssen. Der geplante „Tag des Rückgrat“ ging nach kaum zwei Stunden zu Ende und das mit weniger Teilnehmer:innen, als zu Beginn intern geplant war.

Nach einer Weile, nähern sich auch hier Polizist:innen und nehmen Personalien auf. Auch wir stehen weiterhin mit den Demonstrant:innen im Park und werden von drei Beamten auf den Mindestabstand zueinander hingewiesen. Weil wir ihn, aufgrund unserer journalistischen Arbeit, nicht einhalten konnten, wurden wir am Ende des Tages mit einer Anzeige belohnt. Die Tatsache, dass wir im Park wohl die einzigen mit einer FFP2- Maske waren, wurde von den Beamten ignoriert. Corona-Leugner:innen würden das wohl als weiteres, glorreiches Indiz zur Bestätigung ihrer Verschwörungstheorien aufnehmen.

Die Sonne zeigt sich zwischen den Wolken und strahlt über die Ringstraße. Auf dem Weg nach Hause und weg von den letzten Demos der Linken, weht uns ein letzter Flyer entgegen. Ein Bild von Sophie Scholl, Widerstandskämpferin gegen das frühere NS-Regime, ist darauf gedruckt. Und darüber: „Freies Atmen ist nun ein Verbrechen! Es gibt immer einen Virus, was wenn es nie aufhört?“. Das Ende dieser Pandemie ist weiterhin unbekannt. Teilnehmer:innen auf Corona-Demos scheinen aber immer weniger zu werden, die Verschwörungstheorien um Covid-19 dagegen jedoch immer tiefer.